Mit bloßem Auge nicht zu sehen – Forschung im Nanobereich
Aller Anfang ist schwer: Für das Promotionsprojekt von Mira Simmler gab es im Materialwissenschaftlichen Zentrum für Energiesysteme (MZE) keine Gasleitungen, bei Dr.-Ing. Kirsten Ullmann war das Labor zu Beginn nicht sauber genug. Unerwünschte Partikel und Stoffe hätten die sensiblen Versuche verfälschen und die Ergebnisse damit verzerren können. Aber am Ende findet sich bekanntlich immer ein Weg. Im Interview erzählen die beiden Ingenieurinnen nicht nur davon, welche Wege sie als Wissenschaftlerinnen eingeschlagen haben, sondern berichten ebenso von den nicht zu unterschätzenden Herausforderungen, mit denen sie als werdende Mütter während der Promotion zu kämpfen hatten und welche Lösungen sie gefunden haben.
Mira Simmler, gebürtig aus Krumbach in Bayern, absolvierte sowohl ihren Bachelor als auch ihren Master in Chemieingenieurwesen und Verfahrenstechnik am KIT. Während des Bachelorstudiums begeisterte sich die Chemieingenieurin für Produktgestaltung und vertiefte dieses Interesse im Master, als weiterer Schwerpunkt kam die Mechanische Verfahrenstechnik hinzu. Während sich Mira Simmler schon in ihrer Masterarbeit mit Nanopartikeln beschäftigte, kam für ihr Promotionsprojekt zusätzlich die Flamme ins Spiel. Seit Oktober 2017 promoviert sie am Institut für Mechanische Verfahrenstechnik und Mechanik (MVM) bei Professor Hermann Nirschl: „In meinem Promotionsprojekt geht es um die grundsätzliche Frage, wie man eine turbulente Spray-Flamme und dadurch Nanopartikel herstellen kann, um dann in-situ zu schauen, wie die Partikel überhaupt entstehen und anwachsen. Als Messtechnik nutzen wir dafür die Röntgenkleinwinkelstreuung, auch SAXS genannt. SAXS steht für Small-Angle X-ray Scattering und ist ein berührungsloses Verfahren, bei dem man einen Röntgenstrahl auf eine Probe setzt. Durch die Interferenz mit den Röntgenwellen entsteht dann eine Streuung an den Partikeln, die man wiederum mit einem Detektor auffangen kann.“ Die Wissenschaftlerin geht ins Detail und führt das Projekt weiter aus: „Als erstes habe ich mich um den Aufbau der Fallen-Spray-Synthese gekümmert. Hierfür erzeugt man eine stabile Flamme aus Methan und Sauerstoff und in diese Flamme sprüht man eine Flüssigkeit ein. Das geschieht mit einer normalen Zwei-Stoff-Düse – hier kommt nochmal Sauerstoff dazu – und dadurch verteilt man eine Flüssigkeit in der Flamme. So wird die Flamme turbulent. Am Ende hat man sehr viele komplexe Zusammenhänge in der Flamme. Deshalb ist es auch als Grundlagenforschung interessant.“ Das Projekt beleuchtet nicht nur ein Kerngebiet, sondern mehrere Komponenten, das hat Mira Simmler an diesem Thema gereizt. Die Chemieingenieurin ist nach vielen Messungen inzwischen am Ende ihrer Promotion angelangt und bringt die Ergebnisse nun noch zu Papier.
Dr.-Ing. Kirsten Ullmann studierte von 2010 bis 2016 Biotechnologie an der Technischen Universität Braunschweig. Sie spezialisierte sich während ihres Studiums im Bereich Bioverfahrenstechnik. Für ihre Masterarbeit zum Thema Algen kam die Wissenschaftlerin ans KIT, dort gefiel es ihr so gut, dass sie sich entschloss, für die Promotion in der Fächerstadt zu bleiben.
Kirsten Ullmann promovierte ebenso wie Mira Simmler am Institut für Mechanische Verfahrenstechnik und Mechanik (MVM) bei Professor Hermann Nirschl, beschäftigte sich in ihrem Promotionsprojekt jedoch mit einem ganz anderen, aber nicht weniger spannenden Thema, nämlich mit Verfahren zur Herstellung von nanoskaligen Liposomen. Die aus dem Münsterland stammende Bioingenieurin beschreibt die Fragestellung ihres in der Krebsforschung angesiedelten Projekts wie folgt: „Liposomen können runde Transportvesikel sein, die aus Phospholipiden bestehen. Phospholipide selbst sind Bestandteile unseres Körpers. Das hat den Vorteil, dass der Körper das Liposom unter Umständen gar nicht als körperfremd erkennt. Die Idee ist dann, dass man innerhalb des Liposoms – man kann sich das wie eine Kugel vorstellen – Wirkstoffe einkapseln kann. Diese Wirkstoffe sollen zu einer Tumorzelle transportiert und dort freigesetzt werden. Ich habe konkret an einem Herstellungsverfahren geforscht, das Wirkstoffe effizienter einkapselt. Viele Verfahren lassen noch zu viel des Wirkstoffs frei, das ist sehr kostspielig.“ Kirsten Ullmann hat ihre Promotion im Mai 2022 erfolgreich abgeschlossen und ist seitdem als Postdoc und wissenschaftliche Mitarbeiterin am MVM tätig.
Mira Simmler und Kirsten Ullmann haben beide während ihrer Promotionszeit eine Familie gegründet. Dabei haben sie sich bewusst für eine Familiengründung gegen Ende der Promotion entschieden. Wenn man ein Thema bearbeitet, das Laborarbeit beinhaltet, bestehe die größte Herausforderung darin, dass man als schwangere Frau möglicherweise nicht mehr ins Labor darf und damit keine Versuche für die Promotion mehr durchführen kann, so Kirsten Ullmann. Doch dafür gibt es Lösungen: „Über eine Querfinanzierung kann eine Person eingestellt werden, die die Versuche für einen im Labor durchführt.“ Im von der DFG finanzierten Projekt von Mira Simmler, das Teil des Schwerpunktprogramms „Nanopartikelsynthese in Sprayflammen SpraySyn: Messung, Simulation, Prozesse“ (SPP 1980) ist, ist Chancengleichheit schon im Antrag verankert, auch für die Chemieingenieurin hat eine Hilfskraft Versuche durchgeführt.
„Die Entscheidung, ob die Arbeit im Labor weiterhin möglich ist oder nicht, hängt letztendlich von der Leitungsfunktion des Instituts ab“, weiß Mira Simmler, „Sicherheit geht in Sachen Mutterschutz vor. Doch aus meiner Sicht werden auch Chancen vertan, die eigentlich möglich sind.“ Deshalb rät sie, sich mit den richtigen Personen abzusprechen und Einsatz zu zeigen. An ihrem Institut hat man zusammen gute Lösungen gefunden, das wissen die Ingenieurinnen zu schätzen.
Die beiden Wissenschaftlerinnen raten anderen Doktorandinnen, die während der Promotion eine Familie gründen wollen, mit der Stabsstelle Fachkräfte für Arbeitssicherheit und den Medizinischen Diensten des KIT in Kontakt zu treten. Mira Simmler profitierte zudem von einer hilfreichen Beratung bei der Abteilung Familienbetreuung, Service und Organisation, die bei der Abteilung Personalentwicklung und Berufliche Ausbildung angesiedelt ist. Kirsten Ullmann konzipierte zusammen mit anderen Ingenieurinnen sogar einen Leitfaden zur Familiengründung während der Promotion, in dem sie nützliche Anlaufstellen am KIT zusammenträgt. Der Leitfaden entstand im Rahmen ihres Engagements für das CIW- INgenieurinnen-Netzwerk (CIW IN). Beide Ingenieurinnen sind aktive Mitglieder des Netzwerks und organisieren als Teil des Leitungsteams z. B. Veranstaltungen für interessierte Masterstudentinnen und Doktorandinnen, die dem Netzwerk beitreten wollen. Mira Simmler und Kirsten Ullmann sind einstimmig der Meinung, dass das Netzwerk ein wertvoller Raum für den institutsübergreifenden Austausch und die Vernetzung von Wissenschaftlerinnen ist.
Schülerinnen, die an einem Studium im MINT-Bereich interessiert sind, empfiehlt Mira Simmler abschließend: „Einfach probieren. Ganz egal, ob man sich entscheidet zu studieren oder eine Ausbildung zu machen, es wird immer ein Sprung ins kalte Wasser sein. Aber man wird nie mehr die einzelne Frau in einer Vorlesung sein, diese Zeiten sind auf jeden Fall vorbei.“ Kirsten Ullmann fügt hinzu: „Die Entscheidung ist ja nicht fürs Leben. Wenn man feststellt, das ist doch nichts für mich, dann darf man auch den Mut haben zu sagen, ich mache doch was anderes.“ Aller Anfang ist schwer. Aber am Ende findet sich immer ein Weg.
Text: Mareike Schroeter